MindWalk 23/32 – Tag 27, Ginsterberg bei la Teyssonneire
Wieder erst das Tagebuch…
Dienstagabend
Ein Ausblick, sitzend im blühenden Ginster und in den Erika, der meinen Atem fahren lässt. Die ganze Gugelhopfebene um Le Puy liegt vor mir im Dunst, schattiert durch die Abendsonne. Ausser Vögel, dem Rauschen der Bäche im Tal und dem Fächeln des Windes herrscht göttliche Stille.
In meinem Rucksack warten zwei “Tomme de Chèvre” und Brot und ich freue ich auf den Morgen, wo hoffentlich die Sonne mich blicken kann. Die Mücken werden sich wohl auch schlafen legen – und dann, wenn ich mir einen gebe, halte ich beim nächsten Sonnenniedergang Einzug in der Vulkanstadt “Le Puy“ – Judihuy!!
Es folgt die obige, doppelseitige Skizze mit Textbeigabe: “Sicht gegen Le Puy”
Vor sechs Jahren dachte er während dem “Erinnerungsscheiben” zurück an die nun folgende Nacht – dies, ohne den Tagebucheintrag zu kennen. Er war sich nicht einmal sicher, ob er zu dieser Nacht überhaupt etwas geschrieben hatte.
Es sei aber verraten: Aus dem originalen Skizzen- und Tagebuch wird im nächsten Beitrag ein wunderbar griffiger Text gezeigt, der im Vergleich zum hier folgenden, knapp dreissig Jahre später erinnerten, ordentlichen Gesprächsstoff bietet…
Vor Le Puy schlief ich auf einem Berg unter freiem Himmel: Und ich war beseelt in jener Nacht – auch weil ich wusste, dass ich morgen in einem halben Tagesmarsch das Primärziel erreichen würde.
Ich schlief auf einem Ginsterbusch, auf der Pflanze selber. Ich kam mir vor wie ein König in seinem Schaukelbett, über mir der Baldachin als Nachthimmel. Zwar wurde es gegen den Morgen hin beklemmend kalt.
Gegen Le Puy hin, so meine ich mich jedenfalls zu erinnern, zog schon ein helles Band am Horizont auf. Ich lag alleine auf diesem Berg in meinem Schlafsack und fror, kläglich. Schlafen konnte ich nicht mehr. Einfach liegenbleiben machte darum keinen Sinn, weil der Ginster so bequem auch nicht war. Zudem hatte ich ihn etwas plattgedrückt. Aber es gab so viele davon. Sie blühten gelb.
Nachdem ich mich im Schlafsack mehrmals gewendet hatte, stehe ich auf: Mehr kann und will ich jetzt nicht machen, denke ich, als einfach dem Tag die Zeit geben und zuschauen, wie der Himmel aus dem Nachtschwarz sich lichtet, wie die Sonne zum Horizont sich vorschiebt, über den Bergrand guckt, alles aufhellt, zum Leuchten bringt, in den Taghimmel schleicht und mich endlich wärmt. Bis dahin bin ich ein hilfloser, frierender und überglücklicher Zuschauer.
Ich gehe auf und ab und mache jene Übungen, die man eben macht, wenn einem kalt ist. Dann gleisst ein Punkt über den dunkelblauen Nachthimmel. In steter Langsamkeit fährt er dahin. Ich stehe da, schaue hoch und es erfasst mich ein Gefühl von unendlicher Ruhe, auch Stolz. Da oben «wandert» dieses von der Sonne angestrahlte Flugzeug, glüht, und ich stehe hier unten, dieses Menschlein, das sich von zuhause wegbewegt hat, stehe einfach da und sehe, rieche, höre, sinne – und friere. Nach dem langen Gehen denke ich: Ich bin unterwegs zu Fuss und ihr da oben seid es mit gegen tausend Kilometern in der Stunde, ich einzig und einsam und ihr da oben gemeinsam in einer grossen „Kiste». Ich habe es in den Händen und in meinen Füssen, wie es mit mir weiter gehen wird. Und ihr da oben könnt froh sein, wenn ihr nicht abstürzt.
Dem ist gut so – beides hat seine Berechtigung. Ich komme mir wunderbar erlöst vor, wie angekommen bei mir selber : Hannes Meier, mehr nicht. (den Leo holte er sich später dazu)
So viele Menschen habe ich hinter mir gelassen, denke ich, innerlich losgelassen, abgefallen sind sie von mir, dass es mich schreckt. So viel Zeit hast du mit dieser oder jener Person verbracht, und jetzt, nach vier Wochen, sind die Erinnerungen an sie verblasst und die Bindung ist nichtig. – Zeit verbracht oder Zeit verbraucht….?, denke ich.
Jetzt bin ich stark – auch körperlich. Die übelsten Gehgebresten 🙂 sind überstanden und mein Körper kann und will, was er können soll.
Der Himmel ist inzwischen – ja er steht über mir, wirklich 180 Grad, wenn nicht noch grösser – aufgehellt, in einem Blau der verschiedensten Töne. Hammer! – Und vor mir liegt das Leben. Das andere habe ich hinter mir gelassen. November 2014