MindWalk 23/32 – Tag 9/3 – Fribourg am späten Nachmittag
Es ist Sonntagmorgen. Früh besucht er das Historische Museum. Holzstatuen aus der Renaissance interessieren ihn. Beim Einlass macht man ihm klar, dass das Museum heute vorzeitig schliesse. Warum, das versteht er nicht. – In den beinahe leeren Ausstellungsräumen findet er die Jakobusfiguren und ist fasziniert vom filigranen Faltenwurf in Holz. Er zeichnet. Über die Lautsprecher wird er aber schon bald aufgefordert, das Haus zu verlassen. Wie er zum Ausgang geht, kommen ihm Menschen entgegen – ein Filmteam, Musikerinnen, Manneqiuns, ein Zauberer und eine Schlangenfrau. Beim Eingang steht gar eine nackte Frau, vor ihr eine Staffelei, hinter dieser ein Maler.
Mit der Zeit versteht der Gehende, dass hier demnächst der Hans-Reinhard-Ring an Emil Steinberger verliehen werden wird und dieser hier im Aufgang zum Festsaal ein lebendiges Museum der aktuellen Künste einrichtet. Mit dem Maler und seinem Modell kommt er ins Gespräch und er darf sich zum Zeichnen auch dazu setzen.
Immer wieder wird er selber gefragt, wer er denn sei und was er hier tue. Auf die redliche Antwort, er sei zu Fuss unterwegs nach Spanien und mache hier in Fribourg Halt, lacht man über ihn und nimmt seine Aussage als ein Spiel wahr und ihn als eine Kunstfigur. Man nimmt ihn gar mit zum gemeinsamen Mittagessen…
Tag 11, 08. 05. 88, Fribourg
Unerwartet, sehr unerwartet – ich bin jetzt noch erschlagen von den Gegebenheiten und was ich jetzt habe, ist Freude am Zeichnen. Ich weiss nicht, wie lang sie anhält, aber über dem Aktmalen lebte ich auf, vergass um mich alles und obwohl die Ergebnisse nicht Werke sind, so sind sie doch rührend – vor allem die „Fehler“.
Emil Steinberger wurde der Hans Reinhard Ring verliehen. Die Ehrung im Museum für Kunst und Geschichte statt, wo sich eine kulturelle Crème einfand – Hohler, Joris* (gehören zwar nicht zur Crème) und dann eben die Crème, deren Namen ich nicht mehr weiss – irgendwelche Kulturminister und Unterhaltungsschimmer des Fernsehens. Lange Reden hielten sie, vor allem jener des deutschen Fernsehers. Für mich haben Sie ihn zu Tode gejubelt.
Der gute Teil war Emils. Von ihm kam die Idee, den Weg zum Lobhudelplatz mit Kultur zu beleben – Modell, Aktzeichnen, Sketch, Gesang (Vera Kaa), Pantomime, Film, Bilder und eine Galerie abgebissener Äpfel, eine Schlangenfrau, Free Jazz, Kostüme und das alles zwischen den alten steinernen und hölzernen Figuren aus dem Mittelalter. Kunst heute – Kunst damals. Heute nicht mehr aus, zu und für Gott, sondern aus und zu für Leib und Seele.
Ich schloss mich der Filmequipe an, tat, als würde ich dazugehören und, obwohl ich jedem, der mich fragte, wer ich sei, redlich Auskunft gab, begann bald das grosse Rätselraten. Sie hielten mich für einen Mäzen, irgendeine Figur, die Unerwartetes beabsichtigt. Zum Essen ging ich selbstverständlich mit, aber jetzt, bei der grossen Tafel, da scherte ich aus. Der Club ist mir zu steril, zu edel und im Ganzen auch zu tot. Das, was Emil mit der Kleinkunst einbrachte, wurde übertrampelt durch die Geschalten und Geschniegelten – die zwar sicher auch ihren guten Teil zum Kulturkuchen beigeben.
Mit Martin Ziegelmüller** verstand ich mich sehr gut. Ich werde bei ihm vorbeigehen. Und das Zeichnen: Eine Wonne, zackig, schauen, wählen, pinseln – aah!!
Fotos habe ich gemacht, bin gespannt. Sichtwinkel Kunst, alte – neue, gestern – heute, tot – lebendig!
*Charles Joris ist der Leiter des „Théâtre Populaire Romand“. Der Gehende machte vor vier Jahren in La Chaux-de-Fonds einen Stage, weil ihn die Arbeiten dieser Theatertruppe interessierte.
**Der Maler. Modell stand Marie-Pierre Béguelin