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MindWalk 23/32 – Tag 8

Er meint sich zu erinnern, in einem riesigen Weinfass geschlafen zu haben. Zwei Sitzbänke waren da hineingezimmert und das Fass stand in seiner Ovalform aufgerichtet im Garten eines Ausflugsrestaurant, so quasi ohne Deckel und ohne Boden.
Die Begegnung später beim Schulhäuschen hat etwas Allegorisches. Heute einnnert den Gehenden diese Sequenz an eine Romanstelle aus einem Bändchen von Urs Widmer – oder ist es umgekehrt, erinnerte sich der Geher beim Lesen von Widmers Passage über das Schulhaus, zu dem aus allen vier Himmelsrichtungen ein Weg führt, er sich an seine Begegnung von damals – an die schöne Lehrerin und die stimmige Schulsituation.
Man stelle sich nur vor, was hätte werden können, hätte der Geher seinen Weg nicht fortgesetzt – womöglich würden wir hier heute keine Tagebucheinträge lesen oder sie hätten eine andere Fortsetzung genommen.

Tag 8, Plaffeien, am Abend

Alles über den sumpfigen Hügelzug gehend bin ich via Guggisberg hierher gelangt. Der morgige Waggel nach Fribourg wird zu meistern sein – falls meine linke Achillessehne sich erholen kann.
Das Jubiläum hat mit einem Schock begonnen: Eine Zecke hat sich eine Handbreit über meinem Geschlecht festgebissen. Im Restaurant liess ich mir Öl geben und setzte mich ins WC. Wie ein Spritzer kam ich mir vor, wie ich dahocke und das Viech beträufelte. Mit der Sackmesserpinzette riss ich sie aus, erwischte dabei wahrscheinlich nur den Körper. Für solche Operationen ist das Werkzeugchen nicht gemacht – zu spitz die beiden Klemmen und zu eckig der Hals. Ich konnte nicht gleichmässig drehen. Dann desinfizierte ich mit Klosterfrau Melissengeist und Vita-Merfen. Jetzt sieht’s gut aus, bin aber immer noch gefasst auf eine Infektion. Erinnerte mich an Pit‘s Erzählung, dass es Zecken gäbe, die eine unheilbare Kinderlähmung übertragen können. Hier in dieser Gegend gebe es solche – bibber, bibber!

Guggisberg habe acht kleine Schulhäuser. Ich sprach mit der Handarbeitslehrerin – eine schöne Erscheinung. Wünschte mir, sie wieder zu treffen. Aber da komme ich in Konflikt mit meiner Reise und so – zack – ging ich, und bleibe verschollen. Das Zimmer, alt, in Holz getäfert, eine echte Schulstube. Vielleicht acht Kinder hatte sie zu unterrichten und die Glocke selber zu läuten. Das würde mir gefallen – in einer gesunden Umgebung, gutes Schulhaus, wenig Schüler, mehrere Klassen – aber nicht allein, ich brauche das Kollegium.

Heute brauchte ich meine Ohren, Augen und Gedanken, um den von mir vorgewählten Weg zu finden. Lange und immer wieder sass ich über der Karte. So kann ich wenig Inneres erzählen. Die Gegenden hier, vor allem die Talgründe, sind sehr ansprechend. Weit ausladende, aber nicht mehr so grosse Bauernhäuser, Fleckenvieh, von Bächen gefressene Schluchten und viel Wiese von kleinen schwarzen Wäldern umsäumt. Die Alpwiesen sind leider sehr matschig und die meisten noch braun.
Ich gehe jetzt einkaufen – öpis zum Brötle – und gehe dann ein kleines Stück zu einem guten Platz. Habe aber keine Karte mehr.

Foto einer Landschaft
«Landschaft» aufgenommen von irgendwo unterwegs