MindWalk 23/32 – Tag 16, Rolle, Nyon, Genf, Bernex
Er nimmt die dritte Gehwoche in Angriff.
Ein Bild, das ihm bis heute beleibt: Livriert und mit weissen Handschuhen, ein Silbertablett auf der einen Hand, steht auf dem Balkon einer Protzvilla ein Butler neben seinem Herrn, dieser fast wie in Wachs gegossen. Zwei Lebenswelten blicken sich da in die Augen, der im Dienst und der «andere». Gerne hätte der Gehende gewusst, was der Livrierte dachte, als dieser ihn sah – über den Rasen des Herrn gehend, den Weg über den Besitz, der Villa gehend, mit Stock und Hut und sac à dos… dem Süden zu.
Alles weitere erzählen die Einträge…
Rolle, am Morgen
Freitag
Jetzt hat’s mich verhauen – bin in Ruhe aufgestanden, Kaffee + Croissants, aquarelliert am See, jongliert und auf das Schiff gewartet – das nicht kommen wird. Heute fährt ab Rolle keines. Ich hab das ✝-Zeichen übersehen. Nun denn, muss ich eben wandern. Das Ausruhen tat gut. Ich hoffe, es gebe einen Seeweg und ich gelange heute nach Genf – ein weiter Weg!
Auf den Schiff nach Genf, am Mittag
Dieser Plan ist von Jean-Luc und weist mir den Weg zur Jugendherberge. Dabei will ich aber gar nicht dahin. Ich denke, dass ich noch heute den Bus nehmen werde, um der Stadt zu entfliehen. Schade, ich konnte seine Grosszügigkeit gar nicht echt erleben. Ich bin abwesend. Er reiste schon dreimal im Osten und will wieder nach Nepal, vielleicht für’s Leben. Gastfreundschaft zu zeigen, das habe er dort gelernt.
Die Augen beissen – geht das wirklich – und die Nase ist verstopft. Er liegt etwas in der Luft.
Von Rolle ging ich der Hauptstrasse entlang. Welch tötendes Wandern. Dann aber stach ich zum See hinunter, wo ich auf dem schmalen Pfad der Zöllner immer dem Seeufer folgte, durch die Gärten der Habenden, an den Villen vorbei. An einem Sonnenplätzchen servierte ein Kellner seinem Meister – leider bin ich nicht so frech gewesen und habe mich dazugesetzt – aber der Butler rastete schon durch meine Anwesenheit fast aus. Der Herr sagte nichts, sass nur da und trank Kaffee – und später kam ich zu einer Villa, die renoviert wird: In höchstem Grade alt-neu. Zum Beispiel mit Kupferbadewanne mit Messinghahnen, alte Möbel, Rusticoboden – echt alt, eingeführt -, Bogenfenstern, rauhe Mauern… Ein Möbelschreiner (ébeniste) arbeitet dort schon seit einem Monat und noch andere Drei verdienen da täglich ihr Brot. Der «ébeniste» erzählte mir von einem Kollegen in den Cevennen, der Schlösser kauft (bis jetzt 2) und sie dann ausbaut.
Bald kam ich dann auf den Golfplatz, den ich überquerte und zur Strasse zurück müsste. Ein Bier und ein wunderbares Sesambrötchen wie auch ein Cornet-aux- choco-raisins retteten mich bis Nyon. – Schöne Altstadt mit Schlösschen. Besuchte die Ausstellung nicht, da der Eintritt 5.- kostete und ich aber nur eine Stunde Zeit hatte. Dafür lernte ich Jean-Luc kennen.
Bernex, am Abend
In Genf bin ich mit dem Schiff angekommen, habe von «èbeniste» via Telefon die Adresse des Château-Typen eingeholt – war eine Zangengeburt, weil ich nicht zu schreiben wusste – und bin nach einem Stück kreuz und quer gehen in den Bus gestiegen – nicht bezahlt – und nach Bernex gefahren. Hier fühle mich gut – weg vom Rummel, im „le signal“. Morgen geht es über die Grenze und ich denke, einen guten Rastplatz zu wissen, über der Rhône, ein Schloss, auf das mich Jean-Luc hingewiesen hat.
Es ist erstaunlich, wie das Gefühl der Leere und Einsamkeit, somit eine Müdigkeit und ein Loch kommt, in das ich fast bodenlos falle und doch plötzlich wieder ungeahnt Boden finde und wie von Geisterhand in eine gute Welle gehoben werde. Ob das mein Naturelle ist?